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220947

(2018) Faust-Handbuch, Stuttgart, Metzler.

Weltschmerz

Burkhard Meyer-Sickendiek

pp. 254-261

Der Begriff ›Weltschmerz‹ steht für eine in der deutschen und europäischen Moderne von ungefähr 1814 bis 1840 reichende pessimistische dichterische Haltung, die zum einen in diversen für die Epoche der Spätaufklärung charakteristischen Bezeichnungen wie etwa ›Melancholie‹, ›Grillenkrankheit‹, ›Langeweile‹, ›Schwermut‹ oder ›Trübsinn‹ wurzelt, zum anderen als genuin modernes Phänomen, also als epochentypische ›Hypochondrie‹ bzw. ›Zerrissenheit‹, verstanden wurde. Er entstand erst nach der Vollendung von Goethes Faust, den Goethe 1806 fertigstellte und 1808 in den Druck gab. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich die mit dem Begriff ›Weltschmerz‹ ab Mitte der 1810er Jahre verbundene Haltung auch aus dem Einfluss von Faust I herleiten lässt. Denn einer der initiatorischen Texte – George Gordon Lord Byrons 1816/17 verfasstes »Dramatic Poem« mit dem Titel Manfred – weist deutliche motivisch-thematische Parallelen zu Goethes Faust-Dichtung auf. Zugleich aber sind die Leiden Fausts vom romantischen Weltschmerz, als dessen Vertreter neben Lord Byron auch Autoren wie Giacomo Leopardi, Nikolaus Lenau oder Heinrich Heine gelten, schon sehr früh unterschieden worden: Betonten zeitgenössische Definitionen doch stets das Modische bzw. genuin Moderne dieser Haltung. Sie hat ihre Voraussetzungen in der Restaurationsepoche, also jener im Anschluss an den Wiener Kongress von 1815 angestrebten Wiederherstellung vorrevolutionär-dynastischer Zustände: »Weltschmerz nennt man die Mißstimmung, welche sich in den zwanziger Jahren des 19. Jahrh. bei einer Anzahl deutscher Dichter über die Täuschungen äußerte, welche deren politische Hoffnungen u. Erwartungen in Folge der eingetretenen Reaction erfahren hatten; ihr Hauptvertreter war H. Heine«, so heißt es in Pierer's Universal-Lexikon von 1865 (Anonym 1865).

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-05363-3_30

Full citation:

Meyer-Sickendiek, B. (2018)., Weltschmerz, in C. Rohde, T. Valk & M. Mayer (Hrsg.), Faust-Handbuch, Stuttgart, Metzler, pp. 254-261.

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